Ortsumbenennungen im Nationalsozialismus

Bei der Nutzung des HOV fallen einige Orte auf, deren Namen durch Umbenennungen und somit außerhalb gewöhnlicher Sprachwandelprozesse verändert wurden. Ein Teil dieser Umbenennungen lässt sich durch Namenvereinfachungen erklären: beispielsweise wurden Plaue-Bernsdorf zu Plaue und Choren-Toppschädel zu Choren gekürzt. Andere Orte wie Spreewiese – bis 1911 Leichnam – wiederum wurden umbenannt, um einen wohlklingenderen Namen zu erhalten. Das Gros umbenannter Orte lässt sich jedoch nicht pragmatisch oder ästhetisch, sondern politisch-ideologisch erklären. Es überrascht kaum, dass fast alle diese Ortsnamenänderungen in Sachsen in die Zeit des Nationalsozialismus fallen. 

Der heutige Freistaat Sachsen als Erfassungsraum des HOV bestand in der Zeit des Nationalsozialismus aus dem Land Sachsen, den Kreisen Delitzsch und Torgau der Provinz Sachsen und den Kreisen Hoyerswerda, Rothenburg (Oberlausitz) und Görlitz im Regierungsbezirk Liegnitz der Provinz Schlesien. Von Martin Mutschmann, Gauleiter und Reichsstatthalter des Landes Sachsen, wurde aufgrund einer vom Reichsministerium des Innern gestellten Frist gefordert, dass die Änderungen von Ortsnamen bis Ende 1937 abgeschlossen sein sollen. Von Einzelfällen wie Luppa abgesehen wurde diese Frist eingehalten. 

Durch die im Nationalsozialismus neu vergebenen Bezeichnungen sollten slawische Ortsnamen getilgt und eine deutsche Dauerbesiedelung des sächsischen Gebietes konstruiert werden. Aufgrund der Siedlungsgeschichte finden sich in Sachsen unzählbar viele Namenformen, die slawische Siedlungstätigkeit beweisen; man denke allein an die Orte mit der Endung -itz wie BannewitzTätzschwitz oder Raschwitz. Mitunter lassen sich auf Ethnien verweisende Ortsnamenbestandteile finden: Wendischluppa lag in unmittelbarer Nachbarschaft von Deutschluppa – mittlerweile gehören beide Siedlungen zur Gemeinde Wermsdorf. Bezieht man die noch heute geläufigen sorbischen Ortsnamen in diese Betrachtung ein, offenbaren sich unübersehbare Parallelen bei einigen Namen. Beispielsweise ist die sprachliche Nähe zwischen der deutschen Bezeichnung Sdier und dem sorbischen Namen Zdźěr offensichtlich. All diese Ortsnamen als Zeugnisse der Siedlungsgeschichte brachen mit der nationalsozialistischen Geschichtserzählung, weshalb sie aus ideologischer Sicht angeglichen werden sollten. 

Im Zuge der nationalsozialistischen Ortsnamenpolitik bekamen rund 100 heute sächsische Orte neue Namen verliehen. Der Großteil der umbenannten Orte befand sich im preußisch verwalteten Gebiet im Osten. Im Land Sachsen hingegen ermöglichten Eingemeindungen diskretere Ortsnamentilgungen. Über Streichungen wurden vorrangig Orte mit den Namenbestandteilen Wendisch- und Jud-/Jüd- angepasst, sodass Wendischkarsdorf seit der Umbenennung 1937 Karsdorf heißt. 

Exemplarisch für die Relevanz der Verwaltungszugehörigkeit stehen mehrmals vorkommende Ortsnamen: Während Thräna im Land Sachsen nicht umbenannt wurde, trug das preußische Thräna von 1936 bis 1947 den Namen Stiftswiese. Noch bezeichnender ist der Umgang mit dem Ortsnamen Wiesa: Alle drei Wiesa im Land Sachsen behielten ihren Siedlungsnamen, das preußische Wiesa hingegen wurde umbenannt – als einziger Ort des Untersuchungsraumes gar zweimal. Für zwei Jahre trug Wiesa den Namen Rabental, von 1938 bis 1947 hieß das Dorf Altwiese. Auch der Ort Wendischluppa erfuhr mehrere Bearbeitungen. Die erste Anpassung war eine Eingemeindung in Deutschluppa 1935, eine Streichung des Ortsteilnamens Wendischluppa erfolgte jedoch erst im Jahr 1937. Da die Bezeichnung Deutschluppa suggeriert, dass es auch noch ein ‚nicht-deutsches‘ Luppa geben müsse, wurde der Name 1939 auf Luppa gekürzt. Dass Ideologie und nicht Pragmatik den Umbenennungsprozess bestimmten, verdeutlicht ein Blick auf die getilgten Ortsnamen: Während auf der einen Seite selbst der Ortsname eines Einzelgutes wie Jüdenhain gestrichen wurde, erfuhr kein einziges der über 30 Naundorf in Sachsen eine Namenanpassung. Die Nationalsozialisten schätzten den Mehrwert umbenannter Orte als Form der Raumvereinnahmung so hoch ein, dass selbst Bedenken der Wehrmacht bezüglich der Verwendbarkeit von Kartenmaterial zurückgestellt wurden. Verglichen mit den anderen Ländern und Provinzen kam es im Land Sachsen zu mehr Namenanpassungen als in vielen anderen Teilen des Reiches, jedoch ist die Anzahl neuer Namen – anders als in Schlesien und Ostpreußen – noch überschaubar. 

So unterschiedlich die am Umbenennungsprozess beteiligten Akteure wie Verwaltungsangestellte, Parteimitglieder und Gemeindevertreter auch waren, einte sie doch der Kontakt zum Hauptstaatsarchiv Dresden, das zur Abstimmung neuer Bezeichnungen kontaktiert werden musste. Daraufhin ordnete der jeweils zuständige Reichsstatthalter Umbenennungen und Eingemeindungen an; juristische Grundlage dafür waren die Deutsche Gemeindeordnung und deren Ausführungsanweisung für das Land Sachsen aus dem Jahr 1935. 

Es lässt sich nicht allgemein bestimmen, wie die lokale Bevölkerung den neuen Namen annahm. Grundsätzlich entsteht jedoch der Eindruck, dass allein der regionalen Tradition und eines kommunalen Eigensinns wegen die alten, geläufigen Namen bevorzugt wurden. Das häufige Anpassen der Namen oder der Gemeindezugehörigkeit sorgte beispielsweise in Wendischbora für Ermüdung, die so auch von Gemeindevertretern an das Ministerium weitergegeben wurde. In einem Fall wurde eine Namenanpassung gar rückgängig gemacht: Saultitz erhielt kurzzeitig den Namen des zuvor eingemeindeten Wolkau, doch die lokale Bevölkerung zeigte sich so widerspenstig, dass die Umbenennung annulliert wurde – ein für Sachsen einmaliger Vorgang.  

Die Inszenierung einer ungebrochenen, lediglich germanisch-deutschen Siedlungsgeschichte sollte durch den Einsatz charakteristisch deutscher Ortsnamen gelingen. Die neu vergebenen Namen wurden musterhaft aus je einem Bestimmungs- und Grundwort zusammengesetzt und unterschieden sich somit bereits formal von den in der Regel durch Suffixe gebildeten slawischen Ortsnamen. So wurde in Anlehnung an die deutsche Endung -aue durch einen minimalen Eingriff aus Bluno Blunau und der Name subtil germanisiert. Während dieses Beispiel an die Namentradition der Ursprungsbezeichnung anknüpft, brachen andere Namen (Tetta zu Margarethenhof oder Nardt zu Elsterhorst) sowohl formal als auch inhaltlich mit der vorherigen Bezeichnung. 

Ein Großteil der Ortsumbenennungen wurde 1947 rückgängig gemacht, ein Teil jedoch blieb auch weiterhin bestehen. So trägt das einstige Wendischrottmannsdorf bis heute seinen gekürzten Namen Rottmannsdorf. Auch gänzlich umbenannte Orte wie Krischa sind davon betroffen, sodass dieser Ort bis heute mit Buchholz einen Namen aus der Zeit des Nationalsozialismus weiterträgt. Auch in der SBZ/DDR – wenn auch in bedeutend geringerem Umfang als im Nationalsozialismus – wurden Orte aus ideologischen Gründen umbenannt; das bekannteste Beispiel Chemnitz trug von 1953 bis 1990 den Namen Karl-Marx-Stadt. Ebenso wurde das nicht in das sozialistische Geschichtsverständnis passende Adelsdorf in Dorf der Jugend umbenannt. 

Ereignistyp Umbenennung 1933-1945
Ereignistyp Umbenennung 1933-1945
HStA Dresden, 10760 Amtshauptmannschaft Meißen, Nr. 04452, Bl. 1
HStA Dresden, 10760 Amtshauptmannschaft Meißen, Nr. 04452, Bl. 1
Statistisches Reichsamt (Hg.): Amtliches Gemeindeverzeichnis für das Deutsche Reich Teil I: Altreich und Land Österreich. 4. Aufl, Berlin 1939, S. 256.
Statistisches Reichsamt (Hg.): Amtliches Gemeindeverzeichnis für das Deutsche Reich Teil I: Altreich und Land Österreich. 4. Aufl, Berlin 1939, S. 256.

Literatur

Institut für Angewandte Geodäsie Frankfurt am Main (Hg.): Historisches Ortschaftsverzeichnis. Reihe historischer Ortschaftsverzeichnisse für ehemals zu Deutschland gehörige Gebiete - Zeitraum 1914 bis 1945. Frankfurt am Main 1994-1997. 

Iwanski, Eric: Die Sächsische Flurnamenstelle und Ortsumbenennungen im Nationalsozialismus, in: Saxorum. Blog für interdisziplinäre Landeskunde in Sachsen 2023, URL: https://saxorum.hypotheses.org/9849. 

Iwanski, Eric: Zwischen Ideologie und Pragmatik. Siedlungsumbenennungen im Nationalsozialismus. Einblicke in ein Dissertationsprojekt, in: Volkskunde in Sachsen. Jahrbuch für Kulturanthropologie 2024, S. 167–180. 

Iwanski, Eric: Ortsumbenennungen im Nationalsozialismus als methodische Herausforderung. Erfahrungen aus dem Freistaat Sachsen, in: Beiträge zur Namenforschung 60 2025, S. 193212.

Jacob, Ulf: „Verwachsen mit der Scholle“. Zur Ambivalenz des medialen Wendenbildes im „Dritten Reich“. Frankfurt am Main 2008. 

Jordan, Peter: Place names as ‘condensed narratives’ about the geographical feature denoted and the name-giving community, in: Prinz, Siegfried-Schupp (Hg.): Namenkundliche Informationen 113, S. 159–176. 

Lietz, Gero: Zum Umgang mit dem nationalsozialistischen Ortsnamen-Erbe in der SBZ/DDR (Onomastica Lipsiensa. Leipziger Untersuchungen zur Namenforschung). Leipzig 2005. 

Verdenhalven, Fritz: Namensänderungen ehemals preußischer Gemeinden von 1850 bis 1942 (mit Nachträgen bis 1950). Ein Schlüssel zu den Umbenennungen, Eingemeindungen und Zu-sammenschlüssen von Stadt- und Landgemeinden während eines Jahrhunderts. Vornehmlich unter Benutzung amtlichen Materials. Neustadt an der Aisch 1971.